Zum heutigen Gedenktag an den angelsächsischen Missionar Willibrord (+739) haben die anglikanischen und die alt-katholischen Bischöfe in Kontinentaleuropa ein gemeinsames Grußwort an ihre Kirchen veröffentlicht. In diesem Jahr wurde es vom deutschen Bischof Dr. Matthias Ring verfasst:
In- und Für-Menschen
Grussbotschaft der Anglikanischen und Altkatholischen Bischöfe in Kontinentaleuropa an ihre Kirchen zum St. Willibrordstag 2014
Liebe Schwestern und Brüder
Ich gebe zu, dass ich es zunächst selber nicht bemerkt habe. Erst ein Gratulationsschreiben machte mir deutlich: Meine Wahl zum Bischof fand am Gedenktag des Heiligen Willibrord statt, am 7. November 2009. Ich will nicht spekulieren, ob das etwas zu bedeuten habe, zumal ich Bischof in Bonn bin und nicht in Utrecht. Aber gerade weil die Wahlsynode nicht absichtlich an jenem Gedenktag abgehalten wurde, nehme ich dieses Zusammentreffen als einen kleinen Hinweis von „Oben“ auf die missionarische Dimension von Kirche – und eben auch des Bischofsamtes.
Die Zeiten des Heiligen Willibrord sind vorbei, als man mit einer feurigen Predigt oder einem kleinen Wunder Menschen zu Glauben bekehren konnte. Mir jedenfalls ist dies noch nicht gelungen. Und ich kenne viele Christinnen und Christen, die schon froh sind, wenn durch die Predigten der Geistlichen niemand vom Glauben abfällt. Manche meinen, man könne für den Glauben werben wie für Butterkekse. Ich halte wenig davon, denn dabei wird Werbung und Öffentlichkeitsarbeit mit Verkündigung und Mission identifiziert oder gar verwechselt. Beide unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt:
Die Werbung stellt die Vorzüge eines Produktes in den Vordergrund, was wir als Kirche natürlich auch tun, wenn wir für das Produkt „Evangelium“ werben. Aber wenn ein berühmter Mensch für ein Produkt wirbt, geht doch niemand ernsthaft davon aus, dass er das, was er im Werbespot sagt oder was ihm in den Mund gelegt wird, selber für richtig hält. Ja, wir halten es sogar für möglich, dass er das beworbene Produkt gar nicht benutzt.
Ganz anders ist es bei der Mission. Mission und Verkündigung setzen den glaubhaften Verkündiger voraus. Der Verkündiger ist – ob er will oder nicht – selbst ein Teil der Botschaft. Das war schon immer so. Jesus hätte keine Jünger um sich geschart, wenn er nicht gelebt hätte, was er lehrte. Und der Heilige Chrysostomos soll gesagt haben, wenn sich jemand für das Christentum interessiere, würde er ihn einladen, einige Zeit in seinem Haus zu leben. Mit anderen Worten: Chrysostomos vertraute darauf, dass er durch sein Vorbild den Heiden bekehren könnte. Ich weiß nicht, ob wir es wagen würden, jemanden in unser Pfarrhaus oder Bischofshaus aufzunehmen, um ihn zu bekehren. Oder ob wir nicht sogar Angst hätten, er könnte eine Seite des kirchlichen Lebens kennenlernen, die ihn abschreckt.
Wer das Evangelium unter die Menschen bringen will, muss mit seiner eigenen Person dafür einstehen. Ein missionarischer Christ kann eben nicht jenen Sportfunktionären gleichen, die bei den Olympischen Spielen oft mit ins Stadion einziehen, und man fragt sich angesichts des Bauchumfangs: Wann haben die zum letzten Mal Sport getrieben? Die Menschen, die uns zuhören, die uns als Seelsorger und Seelsorgerinnen, als Liturgen erleben, haben ein sehr feines Gespür dafür, ob wir nur eine Rolle spielen oder ob wir authentisch sind. Und sie spüren sehr schnell und reagieren mit Abscheu, wenn das Verhalten kirchlicher Vertreterinnen und Vertreter mit dem Evangelium nichts zu tun hat.
Worauf es bei der Mission und Verkündigung ankommt ist mir bei der Lektüre eines Buches deutlich geworden. Robert Musil, ein deutsch-österreichischer Schriftsteller, gestorben 1942, bringt in seinem unvollendeten Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ eine interessante Unterscheidung: Er schreibt, es gebe Für-Menschen und In-Menschen. Der Für-Mensch lebt für den Frieden, für die Liebe, für die Gerechtigkeit, aber er lebt nicht im Frieden, in der Liebe, in der Gerechtigkeit. Dass er für etwas eintritt, ist ein Zeichen der Entfremdung von dem, wofür er eintritt. Denn – so Musil – lebte er im Frieden, würde er Frieden ausstrahlen und müsste nicht für den Frieden sein. Durch sein Leben würde sich der Frieden verbreiten.
Als Theologe denkt man dabei sofort an Schriftstellen, wo es heißt, als Christen leben wir in Christus. Und die entscheidende Frage lautet dann: Leben wir in Christus, im Evangelium, in Reich-Gottes? Oder sind wir nur dafür?
Ich glaube, dass die Menschen heute ein sehr feines Gespür dafür haben, ob wir als Christinnen und Christen In- oder Für-Menschen sind. Und an dieser Frage entscheidet sich letztlich auch die Chance jedes missionarischen Mühens. Natürlich ist es wichtig, gute Kampagnen zu konzipieren und tolle Aktionen zu machen. Aber worauf es letztlich ankommt, ist das Zeugnis, dass wir durch unser Leben ablegen. In diesem Punkt hat sich seit Chrysostomos und seit Willibrord nichts verändert.
Im Namen der Anglikanischen und Altkatholischen Bischöfe in Kontinentaleuropa
Bischof Dr. Matthias Ring, Bonn