Gehalten am Karfreitag, 18. April 2014 bei der Ökumenischen Karfreitagsliturgie um 15.00 Uhr in der Evangelisch-Lutherischen Hauptkirche St. Trinitatis Altona

Predigttext: Passion nach dem Evangelisten Johannes, 18,1-19,42
Denken Sie noch ab und zu an Bangladesch?
Es ist ein knappes Jahr her, dass am 24. April 2013 in der Stadt Sabhar, etwa 25 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Dhaka, das neungeschossige Gebäude ‚Rana Plaza‘ wegen schwerer Baumängel in sich zusammenstürzte. In dem Gebäude waren unter anderem mehrere Textilfabriken untergebracht, bei denen auch deutsche Firmen nähen ließen.
Von solchen Textilfabriken habe ich Ihnen ein Bild auf der Rückseite Ihres Liedblattes abgedruckt; das Bild vermittelt einen Eindruck von den Arbeitsbedingungen, unter denen dort Kleidung hergestellt wird.
Über 1.100 Menschen sind bei dieser Katastrophe in Bangladesch ums Leben gekommen. Mehr als 2.400 Personen wurden dabei teilweise so schwer verletzt, dass sie ihr restliches Leben mit schwersten Behinderungen werden führen müssen.
Und dies ist nur ein Beispiel von vielen ähnlichen Katastrophen in den Textilfabriken in Bangladesch, Pakistan und in anderen armen Ländern. Todbringende Katastrophen in den Textilfabriken, in denen unsere Kleidung produziert wird. Die Kleidung, die Sie und ich, die wir alle am Leibe tragen.
Warum erzähle ich Ihnen das? Heute? Am Karfreitag?
Ich erzähle es Ihnen, weil das Christentum die Religion des Kreuzes ist. Ich denke, am Karfreitag wird uns das wohl am deutlichsten und eindrücklichsten im ganzen Kirchenjahr vor Augen geführt.
Hier, im Kreuz finden wir unseren Gott.
Hier, im Schmerz finden wir unseren Gott.
Hier, im extremen Leid finden wir unseren Gott.
Die Pilgerschaft der christlichen Existenz führt uns nicht ins Zentrum der Macht. Die Pilgerschaft der christlichen Existenz führt uns ins Zentrum des Leidens, des Mit-Leidens.
Eines Mit-Leidens, welches aber nicht im stillen Bedauern passiv bleibt, sondern die Ärmel hochkrempelt und sein Engagement darein setzt, gegen ausbeuterische Verhältnisse und die Armut auf diesem Planeten aufzustehen.
Im Fall der billigen Kleidung wäre es doch so einfach, die Verhältnisse zu ändern: Am Rande von Karachi in Pakistan haben deutsche Reporter, die über den Einsturz der Textilfabrik ‚Rana Plaza‘ und ähnliche Katastrophen berichteten, eine Textilfabrik gefunden, die Hoffnung macht – und zugleich entmutigt: In dieser Fabrik bekommen die Näherinnen etwas mehr als einen Mindestlohn von monatlich 50 Dollar. Sie haben Alters- und Krankenversicherung. Die Räume sind hell und luftig. Alle Sicherheitsvorschriften werden eingehalten.
Aber: Dadurch ist das, was hier genäht wird, etwas teurer als in den Billig-Fabriken.
Umgerechnet würde der Verkaufspreis bei uns lediglich um einige wenige Cent steigen, wenn statt in Billig-Textilfabriken unter ähnlich vorbildlichen Arbeitsbedingungen produziert würde, wie bei Karachi.
Und doch kann diese vorbildliche Fabrik in Pakistan nur für den heimischen Markt arbeiten. Sie hat keinen einzigen westlichen Abnehmer.
Und warum? Weil die entsprechenden westlichen Firmen den geringen Aufschlag nicht zahlen wollen, sondern nur die billigsten Anbieter berücksichtigen. Denn es geht um Profitmaximierung, nicht um Fairness und Gerechtigkeit.
Die Kampagne für saubere Kleidung schätzt, dass die Produktionskosten in den entsprechenden Ländern gerade mal ein Prozent des Kaufpreises ausmachen, den wir hier im Westen bezahlen. Würde also ein Kleidungsstück nur ein paar Cent teurer oder würden die Unternehmen ihre Gewinnmargen etwas verringern, dann ließe sich in den Herstellerländern verdammt viel zum Wohl der Menschen dort bewirken.
Wissen sie was? So sehr ich an jedem Karfreitag neu entsetzt und im tiefsten Inneren von Trauer berührt bin, dass Jesus von Nazaret als Verbrecher, als Terrorist hingerichtet wurde, so sehr bin ich doch auch gleichzeitig froh, dass sich unser Gott hat kreuzigen lassen. Dass er dieses Leiden auf sich genommen hat. Dass er nicht den Weg göttlicher Allmacht gegangen und einfach vom Kreuz herabgestiegen ist. Dass er nicht die Truppen der himmlischen Heerscharen hat aufmarschieren lassen, um diesen Tod am Kreuz zu verhindern.
Er hat sich damit mit den Armen, den Bedürftigen, mit denen, die am Boden liegen und auf die noch mal drauf getreten wird, auf eine Art und Weise solidarisch erklärt, wie ich es aus keiner anderen Religion kenne.
Unser Gott leidet mit den Leidenden, unser Gott weint mit den Weinenden, unser Gott hungert mit den Hungernden, unser Gott scheitert mit den Scheiternden, unser Gott ist machtlos mit den Machtlosen.
Wenn es je eines Beweises bedurft hat, dass Gott uns Menschen liebt, dann hat er ihn in dem Gekreuzigten erbracht. Ein für allemal.
Und er schenkt uns Hoffnung. Denn am Ostermorgen hat er uns gezeigt, dass er sich nicht zufrieden gibt mit dem Mit-Leiden, sondern dass er alles Leid überwinden will hin zu seinem Heil. Dass er eine heile Welt will, in der jeder Tod überwunden ist.
Wir sind seine Nachfolgerinnen und Nachfolger. Wir sind gerufen, an dieser heilen Welt, am Reich Gottes mit unseren Kräften mitzubauen.
Krempeln wir die Ärmel hoch. Folgen wir ihm nach.