Fotograf: Rike - Quelle: pixelio.de

Seit Anfang Februar wird innerhalb der römisch-katholischen Schwester-Kirche (mal wieder) eine Auseinandersetzung um strittige Fragen wie Pflicht-Zölibat, Frauenordination und größere Beteiligung der Kirchenmitglieder an der Entscheidungsfindung (Synodalität) geführt. 144 römisch-katholische Theologie-Professorinnen und -Professoren hatten unter dem Titel „Memorandum Freiheit“ ein Papier ins weltweite Netz gestellt, in dem sie entsprechende Reform-Schritte in ihrer Kirche forderten.

Sehr rasch entstand zunächst mit den Online-Unterschriftenlisten „Unterstützung für einen notwendigen Aufbruch“ ein Portal, auf dem sich User mit dem Memorandum solidarisch erklären konnten. Wenig später waren aber auch schon die Gegner mit einer „Petition pro ecclesia“ online, und sammelten ebenfalls eifrig Unterschriften im Netz.

Darüber hinaus wurden von der Leserinitiative Publik-Forum, von römisch-katholischen Religionslehrerinnen und Religionslehrern, sowie von Diakonen und Priestern der Erzdiözese Freiburg und Geistlichen der Diözese Würzburg ebenfalls Unterschriften-Aktionen zur Unterstützung des Memorandums gestartet.

Derzeit werden die Unterschriftenlisten geschlossen bzw. stehen kurz davor, um sie für die Übergabe an die Bischofskonferenz vorzubereiten. Die Befürworter- bzw. Unterstützerseite der mittlerweile auf 266 römisch-katholische Professorinnen und Professoren angewachsenen Memorandums-Petition bekommen zusammen rund 32.000 Unterschriften zusammen, die Gegner etwa 9.000.

Gesetzt den (unzutreffenden) Fall, alle diese Unterschriften würden von römisch-katholischen Christinnen und Christen stammen, und es würden sich auch keine Duplikate darunter finden, und alle würden in Deutschland leben, ergibt sich also eine Summe von etwa 41.000 Unterschriften von römisch-katholischen Kirchenmitgliedern in Deutschland, die sich mit dieser Frage auseinandersetzen. Vor dem Hintergrund von 25.000.000 römisch-katholischen Kirchenmitgliedern in Deutschland, von denen rund 3,25 Millionen den Gottesdienst besuchen (Angabe aus dem entsprechenden Artikel bei Wikipedia), hat sich also im Zeitraum eines Monats ein Anteil von 0,164% der römisch-katholischen Kirchenmitglieder Deutschlands mit ihrer Unterschrift ansatzweise aktiv an dieser Auseinandersetzung beteiligt.

Der Vergleich mit einer anderen aktuellen Unterstützer-Aktion im Internet ernüchtert: Auf der Facebook-Seite „Wir wollen Guttenberg zurück“, die unmittelbar nach dessen Rücktritt als Verteidigungsminister wg. der Plagiats-Affäre um seine Dissertation gegründet worden war, kamen innerhalb von 24 Stunden rund 400.000 Unterstützer zusammen. Immerhin rund 0,5% der Bevölkerung der Bundesrepublik.

Ich denke, bereits vor dem Hintergrund dieser wenigen Zahlen läßt sich vermuten: Im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen die Reform-Bemühungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche nicht unbedingt – nicht mal unter den Kirchenmitgliedern. Ich nehme an, dass die Ergebnisse für die zweite große Konfession in Deutschland, die Protestanten, kaum besser ausfallen dürfte (ich habe beispielsweise schon lange nichts mehr von der „Reformdekade 2007-2017 – Kirche der Freiheit“ gehört). Möglicherweise könnte in den Evangelischen Kirchen allerdings das bevorstehende Reformationsjubiläum „500 Jahre Thesenanschlag durch Martin Luther“ im Jahr 2017 die Aufmerksamkeit für die evangelische Seite des Christentums und das, was in den evangelischen Landeskirchen passiert, verstärken.

Und die kleinen Kirchen – wie die alt-katholische oder die Evangelisch-methodistische – sind dem größten Teil der Bevölkerung wahrscheinlich ohnehin unbekannt, und damit für die öffentliche Aufmerksamkeit (scheinbar) nicht sonderlich interessant.

Nun komme ich angesichts dieser Wahrnehmung ins Grübeln.

Entweder haben wir es bei den Reform-Bestrebungen in den beiden großen Kirchen mit riesigen schweigenden Mehrheiten zu tun, die zwar die Reformbestrebungen unterstützen oder ablehnen, und diejenigen, die – auf römisch-katholischer Seite – ihre Unterschrift pro oder contra gegeben haben bilden sozusagen eine repräsentative Größenordnung ab (auf evangelischer Seite ist die Reformdekade ja eher ein institutioneller Prozess, bei dem mir auch nicht mehr so klar vor Augen ist, ob es überhaupt ein großes pro und contra gab …). – Warum gibt es diese schweigende Mehrheit dann aber bitte nicht auch bei der erwähnten Plagiatsaffäre von Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg?

Oder dieses Nachdenken und die Dringlichkeit der Reform-Bestrebungen (pro Memorandum) resp. die Beibehaltung des Status quo (contra Memorandum), also das gemeinsame Ringen der Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu um den richtigen Weg in die Zukunft – wie ich es beispielsweise bei dem österreichischen Theologen Roman Siebenrock finde -, ist tatsächlich etwas, was eigentlich nur einen sehr, sehr geringen Teil selbst der Kirchenmitglieder wirklich interessiert – und der allergrößte Teil findet die ganze Auseinandersetzung um eine Reform von Kirche eigentlich als nicht von Belang.

Wenn zweiteres zutreffen sollte, wird Kirche und kirchliches Leben von einem Großteil der Kirchenmitglieder – zumindest in unseren Breiten – wohl eher als kulturelle Tradition mit folkloristisch nutzbaren Festlichkeiten wie Taufe, Kommunion, Firmung/Konfirmation/Einsegnung, Hochzeit und Beerdigung verstanden – Christkind und Weihnachten nicht zu vergessen; ob ich Ostern noch dazu zählen kann, da wäre ich mir dann schon nicht mehr allzu sicher -, und nicht mehr als die Herausforderung zur Auseinandersetzung mit Gottes froher Botschaft und der Suche nach Gottes Wegen in der Nachfolge Jesu von Nazaret. Dann ist für viele nicht nur die Auseinandersetzung um die Reform von Kirche nicht von Belang, sondern dann ist für sie wohl auch das Evangelium letztlich ein belangloses Buch mit netten Geschichtchen.

Fehlt uns Christinnen und Christen die Begeisterungsfähigkeit? Kommunizieren wir verkehrt? Haben wir die Fähigkeit verloren, das Evangelium zu verkünden? Sind wir nicht mehr glaubwürdig? Sind wir schlicht: langweilig?

Oder male ich jetzt zu schwarz/weiß? Freue mich auf Reaktion!