
Mit einer immer größer werdenden Zahl von Aufrufen in Blogs, bei Twitter und auf Facebook hatte es begonnen. Sowohl zunächst in Tunesien, als auch danach in Ägypten ging die Initiative zu den Protesten von jungen Internet-AktivistInnEn aus. Und nur wenige Tage später waren dann bereits tausende von Demonstranten auf den Straßen. – Und ein Bericht auf Spiegel online („Radikale Hamas fürchtet den Ägypten-Effekt„) macht deutlich, dass sich auch im Gaza-Streifen eine ähnliche Entwicklung anbahnt, und dass sich die jungen Menschen nach Freiheit, einem normalen Leben und Frieden sehnen und ihrer Unzufriedenheit und Unmut mit den herrschenden Verhältnissen Ausdruck verschaffen. Interessanterweise wurde der auslösende Text mit dem Titel „Gaza-Jugend bricht aus“ dort bereits Anfang Dezember im Web veröffentlicht – also noch vor den Entwicklungen in Tunesien.
Die „Generation Facebook“, wie sie mittlerweile genannt wird, zettelt Revolutionen an, durch die hierarchische, autoritäre Systeme heftig zu wackeln anfangen – die internetten Revolutionen werden zu Evolutionen der Gesellschaft und ihrer Strukturen. Kein Wunder, dass die entsprechenden autoritären Staaten sofort versuchen, die entsprechenden Kanäle abzuschalten (in Ägypten war das Internet ja dann eine ganze Zeit lang tot; hat allerdings nichts genützt, da der Funke gezündet war …).
Das Internet und insbesondere das Web 2.0 scheint den Menschen die Möglichkeit zu geben, Informationen zu sammeln, sich auszutauschen, in Blogs, sozialen Netzwerken und Foren Kritik zu üben und sich zu vernetzen. Es wird sogar möglich, den Mächtigen ihre Geheimnisse zu entreißen und der Weltöffentlichkeit kund zu tun (siehe Wikileaks).
Ich frage mich – durchaus nicht mit Bangen, sondern eher gespannt neugierig – eigentlich nicht mehr, ob diese Entwicklung auf die Kirche(n) durchschlagen wird, sondern bestenfalls: wann. Und ich frage mich, was das für Auswirkungen haben wird.
Natürlich sind die grundlegenden Strukturen nur bedingt vergleichbar. In einem autoritären Staat zu leben und sich gegen diesen und dessen Möglichkeiten der Repression zu vernetzen und aufzulehnen, wie in Ägypten, Tunesien oder im Gaza-Streifen, erfordert etwas mehr Courage und hat wohl auch existenzgefährdendere Folgen, als in einem säkularen Staat eine kirchenkritische Haltung einzunehmen oder Mitsprache und Mitbestimmung einzufordern. Dennoch ist das grundlegende Phänomen einer sich vernetzenden kritischen Haltung gegenüber scheinbaren Autoritäten in Teilen vielleicht doch ähnlich.
Möglicherweise ist eine entsprechende Entwicklung derzeit in der römisch-katholischen Schwesterkirche zu sehen. Die Zahl der am letzten Samstag noch 144 Professorinnen und Professoren, welche das „Memorandum zur Krise der katholischen Kirche“ (wobei sie geflissentlich mal wieder ihre „römisch-katholische“ Konfession mit der „katholische“ Kirche gleichgesetzt haben) ins weltweite Netz gesetzt haben, ist mittlerweile bereits auf 208 Professorinnen und Professoren angewachsen – und ständig werden es mehr. Gleichzeitig wurde von zwei Theologie-Studierenden mittlerweile unter dem Titel „Unterstützung für einen notwendigen Aufbruch: Memorandum Freiheit“ ein UnterstützerInnen-Kreis gebildet, der außerhalb der ProfessorInnEnschaft unterstützende Unterschriften sammelt.
Was bedeutet diese Entwicklung nun für die Alt-Katholische Kirche? – Ich denke, dass wir uns auf eine weitere Verstärkung unserer synodalen Mitsprache- und Mitentscheidungs-Strukturen einstellen dürfen. Die Debatten zu verschiedenen Themen werden nicht mehr nur auf der Synode oder im Kirchenvorstand oder der Gemeindeversammlung stattfinden, sondern auch eine „Internet-Gemeinde“ wird außerhalb unserer gefügten Strukturen verstärkt mitdiskutieren. Vielleicht müsste man auf den Synoden ja auch noch eine Live-Cam und eine Twitter-Wall installieren, um einem möglichst breiten Kirchenvolk die unmittelbare Beteiligung und Mitsprache zu ermöglichen … (keine Sorge, das ist jetzt nicht ganz Ernst gemeint; schließlich sind die Gemeinden ja durch ihre gewählten Delegierten vertreten; zudem würde sich natürlich das Problem ergeben, dass auch nicht-Kirchenmitglieder auf die Twitter-Wall Zugriff erlangen könnten, was dann seine eigenen Schwierigkeiten mit sich brächte; ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ja schließlich auch nicht jedermensch über einen Internet-Anschluss verfügt, und dann von der Partizipation ausgeschlossen wäre …).
Dass diese Entwicklung der Debatte außerhalb unserer gefügten Strukturen teilweise schon geschieht, zeigt aber z.B. das Forum „Mensch und Kirche„, bei dem über zahlreiche Themen intensiv diskutiert wird. Gepaart mit den üblichen Problemen, dass es zum einen nicht nur alt-katholische Kirchenmitglieder sind, die sich hier mit ihren Beiträgen einbringen, und dass manche Beiträge auch manchmal vielleicht nicht gerade von herausragender Qualität sind … .
Es wird auf jeden Fall zu überlegen sein, wie wir die Chancen des Web 2.0 nutzen, um unsere grundsätzlichen synodalen Mitsprache- und Mitentscheidungs-Strukturen innerhalb der Alt-Katholischen Kirche weiterzuentwickeln. Synode 2.0 sozusagen. Evolutiv. ;-)