
Die in Berlin erscheinende tageszeitung (taz) überrascht mich immer wieder. Häufig positiv. Manchmal auch so, dass mir als engagiertem Christen der Seufzer entfährt: „Was für eine Christen-Karikatur hat die Redaktion denn jetzt wieder als ‚pars pro toto für die gesamte Christenheit‘ aus der Mottenkiste des Fundamentalismus ausgegraben?“
Umso überraschter war ich nun über einen halbseitigen (!), undifferenzierten und unkritischen, ja schon fast blauäugigen Jubelartikel über „Geschenke der Hoffnung / Weihnachten im Schuhkarton“ in der gestrigen taz vom 10. November (siehe: „Kuscheltier für Haiti„).
Schon eine kurze Internet-Recherche hätte ergeben, dass die Organisation „Geschenke der Hoffnung“ mit ihrer Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ selbst innerhalb der Kirchen überaus umstritten ist, und mit sehr kritischen Augen betrachtet wird. Ich empfehle hier beispielsweise von evangelischer Seite die Website des Beauftragten für Weltanschauungsfragen der Landeskirche Sachsens („Evangelikale Bewegung / Geschenke der Hoffnung„) oder auf römisch-katholischer Seite die Website „Sekten- und Weltanschauungsfragen“ der Erzdiözese München und Freising („Informationen zu Weltanschauungen und Gruppierungen„).
Wer sich mit der Organisation „Geschenke der Hoffnung / Weihnachten im Schuhkarton“ etwas differenzerter auseinandersetzt, wird sehr schnell merken, dass mit den Päckchen auch das weltweite evangelikale Missionsgeschäft der „Billy Graham Evangelistic Association“ betrieben wird.
Ich denke, wenn die Organisation „Geschenke der Hoffnung“ von vorneherein deutlich machen würde, dass es auch (oder: vor allem!?) ihre Absicht ist, mit den Päckchen Mission in ihrem bzw. in Grahams Sinne zu betreiben, wäre das ehrlicher. Man könnte sich entscheiden: Ist es mir wichtiger, die biblische Botschaft in fundamentalistisch-biblizistischem Sinne unter die Menschen zu bringen, und möglichst viele damit zu dieser christlichen Richtung zu bekehren, oder ist es mir wichtiger, mit der Unterstützung von „Brot für die Welt“ oder „Misereor“ nachhaltige Entwicklungshilfe zu leisten, die vielleicht keine Mission in diesem Sinne leistet, aber dafür nachhaltig zur Verbesserung der Lebensumstände der betroffenen Menschen führt?
Die Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ jedenfalls, so der Hauptkritikpunkt der kritischen Stimmen innerhalb der Kirchen, leistet keinen Beitrag zur nachhaltigen Verbesserung der oftmals prekären Situation in den betroffenen Ländern. So verwies der ehemalige stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und damalige Thüringer Landesbischof Dr. Christoph Kähler bereits 2005 in einer Pressemitteilung deutlich darauf, dass die Geschenke in den Schuhkartons „kaum mit der Wirklichkeit der Kinder zu tun [haben]. Mit einer Puppe kann ein Kind spielen, sie stillt aber keinen Hunger.“ Die Päckchen könnten im besten Fall Zeichen der Nächstenliebe sein, würden aber keine Not lindern. Die Kinder in armen Ländern bräuchten vor allem Bildung, Gesundheit, und eine langfristig gesicherte Ernährung.
Wichtiger als diese Geschenke sind Investitionen in die Infrastruktur, die Ausbildung der Menschen oder Anleitungen mit Anschubfinanzierung von Wirtschaftsprojekten, welche die soziale Situation in den Empfängerländern nachhaltig verbessern. Das wäre nachhaltige und effektive Unterstützung, die den Menschen wirklich hilft.
P.S.: Ein Leser dieses Weblogs hat mich mittlerweile auch noch darauf aufmerksam gemacht, dass die taz unter dem Titel „Gut verpackte Propaganda“ bereits vor einigen Jahren einen gut recherchierten Artikel zum Thema veröffentlicht habe. Der Autor des Artikels in der Berlin-taz hätte also nicht mal im Internet recherchieren, sondern eigentlich nur ins eigene Archiv schauen müssen …