Die Verzweiflung des Karfreitag
Verzweifelt, allein gelassen, Hoffnung verloren, ausgepowert – so müssen sich die beiden Jünger gefühlt haben, von denen wir im heutigen Evangelium gehört haben. Das Wandern gibt Zeit – Zeit zum Überdenken des Geschehenen.
Sie waren dem gefolgt, von dem sie fest angenommen hatten, er sei der Messias, er sei derjenige, der das Volk Israel von der Herrschaft der römischen Besatzung befreien würde, er sei derjenige, mit dem die Endzeit anbrechen würde, mit dem das endgültige und ewige Heil Gottes diese Welt erfüllen würde, Frieden ohne Ende, Gerechtigkeit auf Erden.
Und dann mussten sie die Katastrophe des Karfreitag erleben: All die Hoffnung, die felsenfeste Gewissheit und Überzeugung ans Kreuz genagelt, verhöhnt und verspottet und qualvoll gestorben.
Illusion zerstört. Aus und vorbei. Rien ne va plus. Nichts geht mehr.
Zwar haben die beiden Jünger auch bereits von der Osterbotschaft gehört, aber die Botschaft hat ihre Herzen nicht erreicht. Zu groß ist die Enttäuschung, zu tief sitzt die Verzweiflung.
Ansatzweise glaube ich solche Gefühle zu kennen. Und es wird den allermeisten Menschen schon so gegangen sein.
Wenn Energie und Kraft in ein Projekt investiert wurde, man sich auf der sicheren Seite glaubte, der Ansicht war, genau das richtige zu tun – und dann zerrinnt einem alles auf einmal wie Sand unter den Händen, gerät man in eine Sackgasse, zerplatzt das ganze Projekt wie eine Seifenblase.
Denken wir an unsere Arbeit für eine gerechte und faire Welt, an das Engagement für den Erhalt der Schöpfung, an den Traum vom Frieden. Immer wieder auch Enttäuschungen, vor Mauern laufen, riesige Stolpersteine selbst dort, wo man es am wenigsten erwartet.
Da möchte man sich manchmal doch am liebsten irgendwo verkriechen, Decke über den Kopf, und Gott einen lieben Mann sein lassen. Oder, wie es unsere beiden Jünger getan haben, Jerusalem, dem Ort ihrer Hoffnung, den Rücken kehren.
Perspektivwechsel
Doch dann tritt in unserer Geschichte auf einmal ein weiterer Wanderer zu den beiden verzweifelten Jüngern. Anscheinend weiß er nicht, was passiert ist. Und sie erzählen ihm ihr Leid, berichten von der zerstobenen Hoffnung.
Der Mann aber stimmt nicht in ihre Trauer ein. Er geht mit ihnen in ihrer Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit und erläutert den beiden Jüngern, dass nichts anderes geschehen ist, als was konsequent geschehen musste: Leid und Herrlichkeit sind in dieser Welt nicht voneinander zu trennen. Und nur durch das solidarische Leiden des Messias und durch seinen Tod kann das Leid überwunden werden in der Auferstehung, dem Sieg über jeden Tod.
Der fremde Wanderer öffnet ihnen die Augen und Ohren für den eigenen Glauben und legt ihnen aus der Schrift des ersten Testamentes dar, dass der Messias genau das erleiden musste, was sie erlebt haben.
Wie ausgetrocknete Schwämme saugen die beiden Jünger diesen Perspektivenwechsel auf. Was ihren Glauben behindert hat, war ein Glaube, dem Jesus nicht entspricht. Er hätte doch auf der Seite der Hilfe stehen müssen, nicht auf der Seite der Not und des Leides.
So fasziniert und überrascht von dieser anderen Sichtweise, die ihnen der fremde Wanderer bietet, sind sie, dass sie ihn drängen, bei ihnen zu bleiben.
Solche Menschen wie der fremde Wanderer sind wichtig, wenn man sich in ein Problem verbissen hat. Die Scheuklappen, die man sich selber aufsetzt, engen den Blick ein. Man sieht in der eigenen Verweiflung keine alternativen Lösungsmöglichkeiten mehr, sondern ist fixiert auf die eigene Sichtweise. Der Blick von anderen kann hier sehr hilfreich sein und den Blick wieder weiten. Deswegen ist es auch wichtig, sich in der Kirche immer wieder als Gemeinschaft zusammenzufinden, einander zuzuhören, miteinander nachzudenken, sich auseinanderzusetzen, und sich von der Schrift hinterfragen, inspirieren und verändern zu lassen.
Ein brennendes Herz zeigt uns den Weg
Wer ihnen alles erklärt hat, von wem sie sich haben faszinieren lassen, wird unseren Jüngern dann klar, als der fremde Wanderer mit ihnen das Brot bricht: Es ist der Auferstandene selber. Und kaum haben sie es erkannt, kaum haben sie Tischgemeinschaft mit dem Auferstandenen erleben dürfen, ist er selbst ihnen bereits wieder entzogen.
Gott hat sich in Jesus Christus ins Menschsein begeben, ist uns greifbar nahe gekommen, aber er begibt sich nie in die Hände des Menschen, so dass dieser ihn dingfest machen könnte, sagen könnte: Ich kenne Gott durch und durch.
Aber der Auferstandene selbst ist den Jüngern zum Wegweiser geworden, auch wenn sie ihn zuerst nicht erkannten. „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redeten und uns den Sinn der Schrift erschloß?“ wundern sie sich hinterher über ihre Blindheit.
Wir alle haben diesen Wegweiser, diesen Kompass Gottes in uns selber. Dort, wo die Liebe in unseren Herzen brennt, dort, wo sie uns entzündet, wo das mit-leiden uns ergreift, da finden wir Gott, da können wir den Auferstandenen entdecken.
Wenn wir in uns hören, auf die Stimme Gottes in unserem Herzen hören, werden wir unsere Wahrheit erkennen. Das gilt für den einzelnen Christen / die einzelne Christin genau wie für die Gemeinschaft. Und gerade die Gemeinschaft bewahrt uns dabei auch davor, der immer virulenten Gefahr zu erliegen, den eigenen Vogel mit dem Heiligen Geist zu verwechseln.
Vor einer Woche wurde in Frankfurt/Main die fünfte Alt-Katholische Priesterin geweiht. Ich denke, in der Entscheidung zur Frauenordination wurde in der Gemeinschaft der Alt-Katholischen Kirche ganz praktisch, was es heißt, als Kirche auf die Stimme Gottes zu hören und, reflektiert auf Schrift und Tradition, dem Brennen des eigenen Herzens zu folgen.
Der Emmausgang ist Gottesdienst
Als ich über den Text des heutigen Evangeliums nachdachte, fiel mir auch auf, dass die Geschichte genau so aufgebaut ist, wie der Ablauf eines Gottesdienstes:
Die Gottesdienstbesuchenden kommen mit ihren offenen Fragen, mit ihrem Leid, mit ihrem Alltag und dem, was sie erlebt haben, in den Gottesdienst.
Auf dem Hintergrund der Schrift versuchen wir dann unsere Fragen zu ergründen. Vielleicht bieten mir die Texte des Gottesdienstes einen neuen Blickwinkel, eine neue Perspektive. Und manchmal mag vielleicht auch die Predigt ein klein wenig zu einer Veränderung des Blickwinkels beitragen, so wie Jesu Auslegung der Schriften des ersten Testamentes den Blickwinkel der Jünger verändert hat.
Und schließlich brechen auch wir miteinander das Brot und erfahren und schmecken in der Eucharistie die Zuwendung Gottes, der unsere Kraftquelle sein will. Greifbar in Hostie und Wein, doch gleichzeitig ungreifbar in seiner Größe und Unendlichkeit.
Aber er sagt uns zu: Er selbst ist mit uns.
Foto: Rudi – Quelle: http://www.pixelquelle.de