„Ich konsumiere, also bin ich“. So kurz könnte man die Feststellung des Kommunikations- und Medienwissenschaftlers Norbert Bolz zusammenfassen, die er in einem Beitrag des Fernsehmagazins „Kontraste“ zur Eröffnung des neuen Kauf-Tempels „Alexa“ am Berliner Alexanderplatz auf den Meinungs-Markt geworfen hat („Deutschland im Kaufrausch“). Der Konsum sei mittlerweile das wesentliche Medium der Identitätsbildung sehr vieler Menschen geworden: „Die Frage, wer bin ich, beantwortet man heute nicht mehr, indem man in die Kirche geht oder Philosophiestudien betreibt, sondern indem man konsumiert„, so Bolz in dem Beitrag.
Der Religion und den TheologInnEn sprach er dabei indirekt ab, den Menschen heute noch Sinn vermitteln zu können. Außerdem sei es ohnehin viel besser, die Menschen fänden ihren Sinn im Konsum, als im extremistischen Fundamentalismus (womit er m.E. Religion und Fundamentalismus ungerechtfertigt über einen Kamm schert). Statt Religion würde nun der Konsum als Medium der Sinnvermittlung genutzt werden.
Sollte er recht haben, ist der Konsum mittlerweile zur Ersatzreligion geworden. Eine sehr fade Ersatzreligion meines Erachtens. Denn alles, was ich konsumiere, ist hinfällig und vergänglich. Und auch die Befriedigung, die man möglicherweise aus dem Konsum ziehen kann, ist immer nur vorläufig und wird nach relativ kurzer Zeit schal wie abgestandenes Bier.
Echten Sinn in meinem Leben finde ich doch nur, wenn ich auf das höre, was Gott in mir spricht. Gott hat mich als ein einzigartiges und individuelles Wesen geschaffen. Meinen Sinn kann ich nur finden, wenn ich in mich hineinlausche, um den zu finden, den Gott mit mir gemeint hat, oder – um es mit dem Benediktiner-Pater Anselm Grün zu sagen – das einmal gesprochene Wort zu hören, welches Gott mit mir in diese Welt hineingesprochen hat.
Am letzten Dienstag habe ich an meiner Arbeitsstelle im Eisenacher Kirchenamt die Morgenandacht gehalten. Textstelle war Matthäus 22,15-22: Die Frage danach, ob man dem Kaiser Steuern zahlen darf oder nicht. Ich bin am Ende genau bei dieser Frage gelandet:
Sei vorsichtig, wenn Gegner anfangen Dich zu loben. Dann kann es nämlich leicht gefährlich werden. – Das dürfte die erste Schlussfolgerung sein, die man aus dem heutigen Text ziehen kann.
Denn es ist schon eine raffinierte Falle, die Jesus hier gestellt wird. Die Pharisäer wollen ihn zu einer gefährlichen Aussage nötigen. Und sie beginnen das, indem sie ihm erst mal Honig um den Bart schmieren: „Meister, wir wissen, das Du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen; denn Du siehst nicht auf die Person.“ Jesus soll offensichtlich ermutigt werden, ohne Rücksicht auf die Folgen einfach zu sagen, was er denkt. Und als aufrechter Jude, der im Namen Gottes spricht, und der die römische Besetzung des gelobten Landes nur als zu beseitigendes Ärgernis betrachten kann, wird er natürlich sofort sagen müssen: „Keine Steuern für den Kaiser!“
Aber wenn Jesus sich gegen die vorgeschriebenen Steuern wendet, stellt er sich offensichtlich gegen die römische Besatzungsmacht. Ist er dagegen allerdings für die Steuern, enttäuscht er die Menschen, die sich durch die Römer ungerecht behandelt, ausgebeutet und unterdrückt fühlen.
Wie immer sich Jesus hier entscheiden würde: Seine Gegner haben auf jeden Fall einen Grund ihn hier oder dort anzuschwärzen. Ein echtes Dilemma.
Aber wie häufig, zeigt Jesus auch hier diplomatisches Geschick und wendet die Frage gegen die Fragenden selber. Er fordert die Fragesteller auf, ihm eine Münze zu zeigen. Dazu sollte man wissen, dass die religiösen Führer des Judentums das römische Geld als etwas sündhaftes ansahen. So musste man, um im Tempel opfern zu können, das römische Geld erst in jüdisches umtauschen. Durch seine Frage macht Jesus indirekt deutlich, dass er selber solches römisches Geld nicht besitzt.
Die Gesprächspartner aber fischen eifrig einen Denar aus ihrem Geldbeutel, römisches Geld. Und dieser Denar trug das Portrait des Kaisers. Jetzt war es für Jesus ein leichtes zu sagen: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört.“ Und zwischen den Zeilen klingt an: Wer römisches Geld benützt, ist ein Untertan der Römer und akzeptiert deren Herrschaft, ob er es zugibt oder nicht.
Aber Jesus sagt auch noch ein zweites, entscheidendes, und überrascht damit seine Gesprächspartner: „Und gebt Gott, was Gott gehört.“ Und Gott gehört als dem Schöpfer aller Dinge letztlich alles, Gott gehört auch jeder Mensch. Ihm verdankt sich alles. Von ihm kommt alles her. Zu ihm wird auch alles zurückkehren.
Unversehens sind wir bei der ethischen Grundlage christlichen Fundraisings angelangt: Immer, wenn ich eine gute Sache unterstütze, gebe ich nicht etwas, was ganz ursprünglich mir gehört, sondern in teile lediglich das mit anderen, was ich selber von Gott erhalten habe: sei es beim ehrenamtlichen Engagement meine Lebenszeit und mein Wissen, sei es bei der Spende meine materiellen Güter oder meine finanzielle Habe.
Wer Gott als Lebensgrundlage hat, wird sich weder in Besitz noch in Gewinnsucht verlieren. Der Raum, der Gott gehört, sind wir selber. So wie das Abbild des römischen Kaisers auf dem toten Metall der Münze, so erscheint Gott im Spiegel der lebendigen Seele des Menschen. Er kommt durch uns und in uns zum Vorschein. Durch das, wie wir leben. Durch das, was wir tun. Durch unsere ganze Existenz.
Dann geht es nicht darum, ob wir nach menschlichen Maßstäben Erfolg haben, Macht oder Reichtum gewinnen. Sondern dann geht es darum, ob wir den Menschen gefunden haben, den Gott mit jedem und jeder einzelnen von uns geschaffen hat, als unvergleichliches und geliebtes Individuum.
„Gebt Gott, was Gott gehört“ heißt dann: Prägt das Bild in Euch aus, das Gott mit Euch gemeint hat. Seit nichts anderem verantwortlich, als der Vision Euerer Existenz, die Gott vor Augen hatte, als er Euch schuf. Haltet Euch Räume frei, in denen Ihr auf Euch selber lauschen könnt, um zu hören, was Gott in Euch sagen möchte.